Kalte Füße
Von Zeit zu Zeit
kann es mehr oder weniger gut tun
darüber nachzudenken oder nachzuspüren
bei wem oder was und warum
Du kalte Füße bekommst.
Häufig hat es mit der allzu menschlichen Sehnsucht
nach Geborgenheit und Sicherheit zu tun,
die Du glaubst mit Begehren oder Verzichten
erlangen zu können.
Ein Beispiel:
Vor 20 Jahren unternahm man folgenden
hoch interessanten Versuch:
Man setzte fünfjährige Kinder hinter einen Teller
mit einer höchst attraktiven Süßigkeit und einer Klingel.
Der Versuchsleiter kündigte an, den Raum zu verlassen
und das Kind alleine zu lassen.
Wenn das Kind klingeln würde, käme er sofort zurück.
Dann dürfte das Kind die Süßigkeit essen.
Wenn das Kind nicht klingeln würde,
käme er irgendwann zurück,
dann bekäme das Kind zwei Süßigkeiten.
20 Jahre später wurden alle diese Kinder befragt:
Die Kinder, die nicht geklingelt hatten,
sind heute stärkere Persönlichkeiten,
sind fürsorglicher und sozialer,
haben höhere Einkommen
und leben in glücklicheren Beziehungen.
Soviel dazu, dass Verzicht
einer der entscheidenden Parameter
für die Bildung von Persönlichkeit ist.
Und Du?
Du hast auf vieles verzichtet
und bist dadurch zu einer stabilen Persönlichkeit geworden.
Gleichzeitig hast Du nach mühseligen Jahren
nun endlich gelernt für Dich zu sorgen:
Du weißt, was Du Dir wünschst
und kannst dafür sorgen, es zu bekommen.
Du hast es endlich geschafft,
Deinen gesunden Egoismus zu verwirklichen.
Und nun?
Begehren oder Verzichten?
Vielleicht es es so:
Wenn Du glaubst, Dich entscheiden zu müssen
– von Fall zu Fall oder in jeder Hinsicht –
sitzt Du in der Falle.
Wie die gierige Wespe,
die in der Coladose ertrinkt
oder die einsame Erleuchtete,
deren blendende Hitze alle vertreibt.
Was bleibt ist zugeneigte Achtsamkeit,
für Dich und andere.
Du darfst sie beide annehmen, wie sie sind,
das Begehren und das Verzichten.
Und wenn Du sie dann angenommen hast die beiden,
dann kannst Du sie auch lieben.
Vielleicht haben beide eine wunderbare Botschaft.
Und wenn Du jetzt noch immer kalte Füße hast,
findest Du auch darin wunderbare Botschaften:
Du könntest die ganze Herzenswärme
Deines Begehrens oder Verzichtens
in Deine kalten Füße leiten.
Oder Du holst Dir ein Paar warme Socken.
Meine Güte
Es gibt so viele Dinge, die ich nicht verstehe,
bei mir, bei anderen, auf der Welt.
Amokläufe verstehe ich nicht.
Und ich habe schon wieder so einen kleinen Kopfschmerz.
Die unzähligen Kriege weltweit verstehe ich nicht.
Und der Kollege war gestern schon wieder so überheblich.
Flutkatastrophen und Dürreperioden verstehe ich nicht.
Und wer geht eigentlich Brötchen holen?
Politik und Wirtschaft verstehe ich nicht.
Und die Fliege vor mir nervt mich seit einer Stunde.
Die Idioten haben schon wieder die Benzinpreise erhöht.
Und inzwischen haben wir ca. 10 Millionen Millionäre
und ca. 800 Milliardäre weltweit.
Und eine Milliarde Menschen die hungern
und bald an den Folgekrankheiten sterben.
Das verstehe ich nicht.
Das alles gibt mir Zeit
über den Sinn des Lebens nachzudenken.
Ein Luxus, den sich die meisten Menschen
nicht erlauben können.
Die haben andere Sorgen.
Soll ich denn meine Sorgen nicht mehr ernst nehmen?
Meine Wut, meinen Kummer, meine Trägheit?
Die alle verstehe ich meistens nicht.
Vorhin war ich kurz sehr freundlich.
Das verstehe ich auch nicht.
Vielleicht werde ich nachher vergeben können.
Vielleicht werde ich fürsorglich sein können.
Vielleicht werde ich mich mit der Fliege versöhnen.
Ja, ich ahne, dass tief in mir drin Güte wohnt,
mit Ehrfurcht vor allem Lebendigen.
Und ich komme manchmal nicht dran.
Aber nicht mal darüber habe ich Gewissheit,
weder über schlummernde Güte,
noch über nicht Drankommen.
Ich fürchte, ich muss mit Ungewissheit leben.
Am Himmel tut sich ein Loch in den Wolken auf.
Keine Ahnung, ob die Sonne durchkommen wird.
Keine Ahnung, was mit dem Hunger wird
und dem Klima und den Kriegen.
Und den Milliardären.
Und meinem Kollegen.
Und der Fliege.
Doch: es gibt eine Gewissheit:
Ich werde meistens nicht gütig sein und nicht freundlich.
Mit dieser Gewissheit werde ich es lieben,
Ungewissheit für alles andere zu haben.
Und diese Gewissheit ist vielleicht
ein reicher Nährboden dafür,
hin und wieder
ein wenig gütig und freundlich zu sein,
zu mir und zu anderen.
Du meine Güte.
Du, meine Güte !
GeWahrsein
Es ist eine wunderbare Erfahrung,
mit lieben Menschen im GeWahrsein
zusammen zu sein.
GeWahrsein bewegt Menschen
und schafft einen Zustand von
Gemeinschaft, Zufriedenheit und Liebe.
GeWahrsein ist ein Kommunizieren,
bei dem Hinhören statt Zuhören
zu einem gleichzeitigen
Geben und Empfangen wird.
GeWahrsein schafft neues Bewusstsein.
Menschen, die beim Mitteilen teilen,
sind Menschen, die beim Hinhören
sich und andere erfüllen.
In solchen erfüllten Momenten von GeWahrsein
entstehen Wahrheiten, die frei machen.
Knoten lösen sich,
Belastungen werden kleiner,
Frieden dehnt sich aus.
Frieden, der sogar Vernunft durchdringt,
indem er Fragen und Antworten trägt.
Frieden, der Leidenschaft schafft,
für die Balance von Nähe und Distanz.
Frieden, der Gelassenheit schafft für Bewahren
und Mut zur Veränderung.
Frieden, der uns zu unserer
inneren Mitte geleitet.
Frieden, dessen leuchtende Heiterkeit
auch die Schatten bestrahlt.
Frieden, der GeWahrsein ermöglicht,
führt den Menschen zu solchen oder ähnlichen Fragen:
Wer bin ich?
Wer will ich sein?
Wer werde ich sein?
Und zu dieser einen, tief erfüllenden Erkenntnis:
In der Mitte meines Herzens bin ich der,
der ich bin und der, der ich sein werde.
Leidenschaft und Gelassenheit
Gelingende Menschlichkeit
geschieht grundsätzlich in gelingenden Beziehungen.
Wir leben Bindungen mehr oder weniger nah,
manche mit ganzer Leidenschaft.
Manche dieser Beziehungen sind so tief und erfüllend,
dass sie manchmal an Glückseligkeit grenzen
und manchmal immer wieder neue Leiden schaffen.
Die tiefste und erfüllendste Bindung
ist wohl die des Glaubens an Gott.
Die Sehnsucht nach ihr
hat grenzenloses Glück ermöglicht
und grenzenloses Leiden geschaffen.
Trost des Glaubens ist die Gewissheit,
im Annehmen und Loslassen von Glück und Leid
getragen zu sein.
Gültiges und letztgültiges Getragensein
ist die Gewissheit, dass die,
mit denen ich leidenschaftlich verbunden bin
und die, die ich leidenschaftlich ablehne
die sind, mit denen ich –
mit dem Tausendstel des Gewichts einer Daunenfeder –
hinab gleite und wir gemeinsam
an genau dem Punkt landen,
der für uns ausgewählt ist.
In der Leichtigkeit dieses Schwebens ereignet sich
das Loslassen,
die tiefste Form leidenschaftlicher Liebe,
die, mit der ich weder aufbrechen noch ankommen will.
Und wenn tatsächlich das Loslassen
die tiefste Erfüllung leidenschaftlicher Liebe ist,
dann ist dieser Zustand menschlichen Seins
die Leidenschaft, die Augenblick für Augenblick
und einst für immer,
keine Leiden schafft,
weil er von glückseliger Dankbarkeit
für vollkommenes Getragensein erfüllt ist.
Es ist dieses für einzelne, ewige Augenblicke
andauernde Heimatgefühl,
noch nie aufgebrochen zu sein
und nie mehr aufbrechen zu wollen,
immer wieder.
Und niemals höher hinauf zu wollen
als die vermeintlich hinab gleitende Feder.
Dann ist da diese geschenkte Stille,
die leidenschaftlich ersehnte und erfüllte
Gleichzeitigkeit
meines Atems mit dem Atem des Lebendigen,
wenn mich die Stille
mit Leidenschaft und Gelassenheit
atmet.
Adler
Spanien und Italien bestreiten heute das Endspiel
um die Fußballeuropameisterschaft.
Ohne Deutschland.
Und 10 Millionen Bundestrainer mit Fantrikot und Chipstüte
am Fernseher, wissen warum.
Wenn ich Bundestrainer wär`,
würde ich mich von denen nicht zerreißen lassen.
Ich würde auf keinen Rat hören,
weder gesprochen, noch geschrieben.
Hier also mein Rat:
Wenn ich Bundestrainer wär`, wüsste ich:
SO habe ich entschieden.
Und ein paar Spieler waren beim Unentschieden
noch zu unentschieden.
Jetzt sind sie ausgeschieden.
So ist das Leben.
Ich würde auch nicht auf den Rat
vom Altbundestrainer hören:
Nicht immer dauert ein Spiel 90 Minuten.
Und nicht immer ist der Ball rund.
Und nicht immer ist der nächste Gegner der schwerste.
Wenn ich Bundestrainer wär`,
würde ich mich mit dem Adler auf der Brust
in die Lüfte erheben.
Ich würde die Ausscheidungen der anderen
unter mir lassen.
Und die eigenen hinter mir.
Ich würde zur Sonne fliegen.
Und wenn es regnet,
würde ich durch den Regen zur Sonne fliegen.
Ich würde meinen zielorientierten Tunnelblick aufgeben
und mir das Endspiel von oben anschauen
und Spaß dran haben.
Wenn ich Bundestrainer wär`,
hätte ich Spaß daran, etwas zu lernen:
Dass man Dingen nicht nachjagen kann,
bis man sie endlich im Griff hat.
Ich würde das Ganze betrachten,
nicht nur meinen eigenen Ausschnitt.
Würde verstehen, dass ich als Adler
auf meinem Weg zur Sonne,
nichts und niemandem nachjage
und vor nichts und niemandem davonfliege.
Dann würde ich wissen,
dass ich die Niederlage nur annehmen kann,
indem ich ihr in Frieden begegne.
Ich würde in Abgeschiedenheit der Ausgeschiedenheit
mit Unentschiedenheit begegnen.
Dann würde ich ganz sanft mit den Flügeln schlagen,
und zur Sonne gleiten
um meine Abgeschiedenheit
bestrahlen zu lassen.
So bestrahlt würde ich von oben erkennen,
dass das Sportgerät ein Spielball ist.
Und tatsächlich rund.
Und dass das kleine Stück Leder
weltweit Menschen verbindet.
Menschen, die ab heute wieder ein klein wenig mehr,
alle ihre Verbundenheiten
wahrnehmen, genießen und pflegen.