Archiv | Dezember 2012

Getragen

Altjahrsabend 2012

 

Wenn schon keine Vorsätze,

dann wenigstens Wünsche?

 

Wünsche für die Zukunft

kommen aus Erinnerungen an die Vergangenheit:

Das war gut – es soll wieder so sein.

Das hat gefehlt – bald möge es so sein.

 

Manchmal sind unsere Wünsche ein wenig egozentrisch,

manchmal auch die vermeintlich fürsorglich-sozialen.

 

Die Fee versprach die Erfüllung zweier Wünsche.

Da wünschte sich der Mann ein Glas Bier,

das niemals leer sein würde.

Hoch erfreut über die Erfüllung

wünschte er sich ein zweites dieser Gläser.

So weit so dumm.

 

Ein zweiter wünschte sich das zweite für den Freund.

Vermeintlich sozial.

(Er hätte seines auch teilen können).

Am Ende waren beide Alkoholiker.

 

Was könnten wir uns wünschen für das neue Jahr?

Ein Bierglas, das nie leer wird?

Eine Beziehung im harmonischen Dauerglück?

Denselben Arbeitsplatz bis zur baldigen Rente?

Frieden, Brot und Spiele für alle?

 

Recht betrachtet waren es immer die schweren Stunden,

die besonders wertvoll waren

und die Kraft, die da war und die erwachsen ist

aus deren Bewältigung.

 

Sollten wir uns deswegen schwere Stunden wünschen?

Trennungsschmerz, Verlustschmerz,

Zurückweisungsschmerz, Sinnlosigkeitsschmerz

 oder Zahnschmerz?

 

Nein.

Aber wir könnten am Ende des Jahres

schon ein klein wenig dankbar sein,

dass glückliche Stunden kommen werden

und schmerzhafte.

Und dass die schmerzhaften uns hinweisen möchten,

dass etwas repariert werden möchte,

in der Beziehung, im Beruf, beim Genuss oder an den Zähnen.

 

Wahrscheinlich wird es gut sein, etwas zu verlieren,

damit etwas anderes nachwachsen kann.

 

Was sollen wir wünschen?

Glück, Unglück? Deren Ausgewogenheit?

Annahme, Akzeptanz, Gelassenheit und Dankbarkeit,

Mut zum Träumen und Kraft zum Kämpfen?

 

Es wird sich nicht bei allem was kommen wird

der Sinn erschließen lassen,

nicht alles wird sich gefügt und geführt anfühlen.

 

Und doch:

Wenn wir zurück blicken, stellen wir fest:

ALLES war irgendwie

behütet, beschützt, geborgen und getragen.

 

Und aus dieser Gewissheit im Rückblick

und der Dankbarkeit im Augenblick

wächst Hoffnung für den Ausblick.

 

Eine – auch von mir selbst –

nicht ausrottbare Hoffnung,

dass Angst, Trennung, Verlust, Unglück und Verzweiflung

sich nicht durchsetzen werden.

 

Die Hoffnung,

dass die Freude an der Liebe und am Leben

und die Gewissheit des Getragenseins

sich trotzt allem

und unter allen Umständen,

zart, sanft und gewaltig,

gegenwartsgültig und letztgültig

durchsetzen werden.

 

Die Gewissheit,

dass diese Hoffnung

behütet, beschützt, geborgen und getragen zu sein,

immer schon da war

und niemals weggehen wird,

darüber will ich dankbar staunen.

 

Ich wünsche uns dankbares Staunen

für diesen Augenblick.

Und dass dieser Augenblick des Staunens

sich ausdehnen möge

in das ganze neue Jahr.

 

Weihnachts-Klimpern

24. Dezember 2012

Weihnachts-Klimpern

 

Die Lawine nimmt die kleine Schutzhütte mit.

Der Skorpion sucht Schutz vor der Wüstensonne.

Nieselregen klimpert ans Fenster.

 

Der Soldat will schnell noch drei Feinde erschießen.

Der andere will lieber auch ein Kind machen.

Der dritte klimpert mit dem Glöckchen am Zielfernrohr.

 

Der Bauch der Gans ist von Äpfeln gebläht.

Der knurrende Bauch Mariamas bläht von Leere.

Der Obdachlose klimpert mit den Pfandflaschen.

 

Die Hure und der Altenpfleger gehen zur Schicht.

Die Verwandten jagen über die Autobahnen.

Vater klimpert beim Anstoßen am Tresen.

 

Trauerkloß und Kichererbse

beugen sich zaghaft und sanft nach vorn

und finden mit gespitzten Lippen zum zärtlichen Kuss.

Sie sind in wortloser Gewissheit innig darin verbunden

sich gegenseitig nicht vereinnahmen zu wollen.

Da sind sie erfüllt vom Frieden der Heiligen Nacht

Und klimpern mit glücklichen Wimpern. 

Sehnsucht

Sonntag, den 16. Dezember 2012

Sehnsucht

 

Schon bald endlich soll Weihnachten Frieden bringen

Hoffende Sehnsucht erfüllt mich mit fordernder Macht

Ich will mit ruheloser Gewalt all das Schöne erzwingen

Für das still-rauschende Fest der Heiligen Nacht

 

Da schau ich und höre – kann riechen und schmecken

Wie der Glanz und der Klang mich mit Düften verwöhnt

Das Herz will mit Sinnen die Botschaft entdecken

Wie all das Schöne das weniger Schöne versöhnt

 

So höre ich auf mich an Hoffnung zu binden

Will nicht mit enttäuschter Sehnsucht bezahlen

Allein meine Bereitschaft den Frieden zu finden

Lässt meine Herzenswärme zum Nächsten strahlen

 

Ich darf also heute zu glauben beginnen

Dass sich die Botschaft der Weihnacht ausbreiten will

Will mich auf den Sinn und die Sinne besinnen

Und auf einmal werde ich still

 

Und erkenne in meiner Mitte

Die Krippe

Melancholie

Sonntag, den 9. Dezemer 2012

Melancholie

Heut ist nicht mein Tag.

Wenn ich aus dem Fenster schau,

oder in den Spiegel,

oder um mich herum,

was seh`ich?

Kahle Bäume,

kahles Haupthaar

(die Spiegel werden auch immer schlechter),

kahle Menschen.

Enttäuschung, Zurückweisung, Missachtung.

Krieg, Hunger, Politik,

Weltschmerz.

Nichts hat Bestand

(außer Weihnachten).

In die Kiste werden sie mich auch ganz alleine legen.

Was gab es alles? War es gut?

Was wird kommen? Wird es gut?

Manchmal werde ich allein vom Nachdenken depressiv.

Dann flüchte ich ins Glück,

oder ins vermeintliche Glück:

Sport, Spiel, Spannung,

Betäubung und Beschönigung.

 

Eines aber weiß ich:

Depressivität ist nicht Depression!

Melancholie ist keine Krankheit.

Im Gegenteil:

Wer traurig sein kann, ist vollkommen gesund.

Wer Sinnlosigkeit empfinden kann,

ist genau am Wendepunkt zur Sinnfindung.

 

Künstler, Philosophen, Gläubige

sind oft Melancholiker.

Sie nehmen ihre Gedanken und Gefühle wahr,

erlauben sie sich

und realisieren sie.

Melancholiker sind

kreativer, reflektierter, klüger.

 

Herzlichen Glückwunsch also.

Weihnachtsmelancholie ist ein großes Geschenk.

 

Ich wünsche mir zur Weihnachtszeit

Ein kleines bisschen Traurigkeit

Ich will uns ganzheitlich erleben

Statt immer nur das Glück erstreben

 

Der Glückliche ist oftmals einsam

Weil er nur Halbwahrheiten teilt

Geöffnete Herzen teilen alles gemeinsam

Und sind vom Glück zum Sinn befreit. 

Nicht nur im Advent

2. Dezember 2012

 

Neulich beim Seminar im Kindergarten.

Was Erzieherinnen den ganzen Tag lang so tun:

 

Tränen trocknen

Sorgen anhören

Zweifel ermutigen

Sicherheit beschützen

Hand reichen

Herz wärmen

Entwicklung begleiten

Angst beruhigen

Fehler verzeihen

Rücken stärken

Wichtig nehmen

Verletzung versorgen

Einsamkeit verwandeln

Not lindern

Trennung heilen

Hunger stillen

Frieden stiften

Sinn realisieren

Advent ermöglichen

 

Und Gott?

Was tut Gott eigentlich so den ganzen Tag lang:

 

Tränen trocknen

Sorgen anhören

Zweifel ermutigen

Sicherheit beschützen

Hand reichen

Herz wärmen

Entwicklung begleiten

Angst beruhigen

Fehler verzeihen

Rücken stärken

Wichtig nehmen

Verletzung versorgen

Einsamkeit verwandeln

Not lindern

Trennung heilen

Hunger stillen

Frieden stiften

Sinn realisieren

Advent ermöglichen