Vatermilch
Vatermilch
Manchmal,
wenn ich ein wenig melancholisch bin
(was ich mir sehr gern erlaube!),
tröste ich mich ein wenig,
indem ich dankbar an all das Wunderschöne
in meinem Leben denke:
die wohltuenden Verbundenheiten,
die Sonnenaufgänge,
die Berggipfel,
die guten Gespräche,
das gemeinsame Lachen,
die geliebte kleine Hummel
auf meinem Honigbrötchen.
Das tut gut.
Und ich denke an die Liebe.
Vielleicht das Allerschönste von Allem.
Warum aber tut sie manchmal so weh, die Liebe?
Das ist wohl einfach zu beantworten:
Wenn es weh tut, ist es keine Liebe.
Dann ist es nur meine Vorstellung von Liebe,
meine Gier, geliebt zu werden.
Viele Menschen sind enttäuscht von der Liebe
ihrer Eltern, Kinder und Partner.
Manche wenden sich dann der Religion zu
und schnell wieder von ihr ab,
weil sie sich sagen:
wenn die Liebe Gottes so ist
wie die meiner Eltern, Kinder, Partner –
dann lieber nicht.
Menschen erwarten manchmal
die bedingungslose, erdrückende Liebe,
die alles Leid sofort beendet.
Das ist,
also wärest Du mit Zwangsjacke
an Dein Kinderbett gefesselt
und man würde Dir 10 Liter Milch einflößen,
bis Du ertrinkst.
Da möchtest Du lieber verhungern.
Die Liebe aber,
die nicht weh tut ist die,
die Dich weder verhungern,
noch ertrinken lässt.
Vielleicht ist sie so, die Liebe:
Eltern, Kinder, Partner und Gott sagen:
Ich lasse Dich weder verhungern,
noch werde ich Dich ertränken.
Und ich lasse mich nicht tyrannisieren
von Deiner Gier nach Liebe.
Stattdessen tue ich dies:
Ich gebe Dir den freien Raum,
in dem Du Deine Liebe
in Dir selber finden kannst.
Und freue mich,
wenn Du diese dann mit mir teilst.
Oder auch nicht.
Und so spüre ich in mich hinein,
in die Mitte meines Herzens
und finde sie dort,
die Liebe,
die nicht weh tut
und die sich ausdehnen will,
hin zu
Eltern, Kindern, Partnern und Gott.
Die Liebe,
die mich so zufrieden und satt sein lässt,
dass ich sie teilen muss,
weiter geben muss,
damit sie sich selbst vermehrt.
Wenn mein geliebter kleiner Enkel erwacht,
findet er neben seinem Kopfkissen
eine Flasche Milch.
Davon trinkt er, bis er satt ist.
Dann hält er sie mir hin,
damit ich den Rest trinke.
Und strahlt vor Glück.
DAS ist die Liebe, die nicht weh tut.
Da ist aus Gottes Vatermilch
das Glück geworden,
das man nicht für sich behalten kann.
Bedeutung haben
Bedeutung haben
Immer wieder fragen wir uns
„Woher, Wozu, Wohin?“
Wir möchten so gern, dass unser Leben Bedeutung hat.
Wir möchten gern,
dass wir der Wassertropfen des Ozeans sind,
ohne den der Ozean kein Ozean ist.
Wir möchten gern
Grund, Sinn und Ziel
für unser Leben.
Grund: Das Leben in einem Sozialstaat.
Sinn: Das Ausfüllen der Steuererklärung.
Ziel: Krankenhäuser werden gebaut.
Oder:
Grund: Ich wär`gern mal Präsident von Russland.
Sinn: Ich organisiere eine Olympiade.
Ziel: Die Menschen mögen mich.
Man ahnt es schon:
Mein Leben hat auch ohne solche Gründe Bedeutung.
Aber weil ich das nicht glauben kann oder will,
versuche ich unentwegt,
meinem Leben Bedeutung zu entlocken oder zu verleihen:
Ich mache Karriere,
lasse mich in Ämter und Funktionen wählen,
spende gemeinnützig,
pflege Beziehungen,
zahle oder hinterziehe Steuern,
organisiere Olympiaden,
lese und meditiere
mache mich unentbehrlich
und vieles andere mehr.
Alles, um mich bedeutsam zu fühlen.
Dummerweise passiert genau das Gegenteil:
Ich decke sie zu,
die Bedeutung,
die ich ohnehin ohne all das habe.
In Wahrheit ist es wahrscheinlich so:
Wenn ich meinem Leben
keine Bedeutung mehr verpassen will
sondern an sie glaube
und bin, wie ich bin
und tue, was ich tue,
hat mein Leben die Bedeutung, die es hat
und dient dem Leben,
meinem und dem anderer.
Alles, was ich tue und lasse,
berührt und bewegt die ganze Welt.
Ich BIN ein Tropfen des Ozeans,
ohne den der Ozean kein Ozean ist.
Ich muss keine Welle sein.
Viele Menschen wollen unentwegt Wellen schlagen.
Andere wollen gern der Ozean sein.
Immer wenn ich wichtig sein will
und Wellen schlagen will,
werde ich am Strand versickern.
Der Zweck des Lebens
liegt nicht darin,
zwanghaft Grund, Sinn und Ziel zu suchen.
Entscheidend ist die geistige Haltung:
Ich HABE Grund, Sinn und Ziel.
Ich BIN wichtig.
Ich HABE Bedeutung.
Warum schreibe ich Sonntagsgedanken?
Weil ich wichtig sein will?
Oder stolz?
Oder um zu helfen?
NEIN
Ich schreibe Sonntagsgedanken,
weil Sonntag ist.
Dann räume ich die Spülmaschine aus.
Genieße meine Verabredung.
Esse etwas Leckeres.
Schaue den Tatort.
Mein Leben hat Bedeutung.
Evtl. bleibe ich hier
oder wandere aus.
Evtl. mache ich heute die Steuererklärung
oder organisiere eine Olympiade.
Was ich auch tue oder lasse,
automatisch hat es Bedeutung.
Und so gilt es für jeden.
Und wenn ich aufhöre
meinem Tun oder Lassen
Bedeutung verleihen zu wollen
um wichtig zu sein,
wird es dem Leben dienen,
meinem und dem anderer.
Treue
Treue
Warum nur
bekommen wir manchmal so ein mulmiges Gefühl
wenn es um Treue geht?
Vielleicht, weil wir ein wenig Angst haben
vor der Ungewissheit:
Werde ich mir selbst treu sein können?
Werde ich dem gegenüber treu sein, der mir vertraut?
Wird der andere sich selbst treu sein können?
Wird er mir treu sein?
Vielleicht aber auch,
weil wir ein wenig Angst haben vor der Gewissheit,
einer Gewissheit, die das Ende von Freiheit besiegelt:
Treu wie ein Ring,
der sich auch mit Schmierseife nicht vom Finger löst.
Treu wie ein Anker,
der mit dem Felsen am Meeresgrunde verschmilzt.
Treu wie ein Hund,
der mit dem Schwanz wedelt, wenn er geschlagen wird.
Eigentlich sind wir gerne treu.
Wir mögen uns selbst,
wenn wir verbindlich sind
und standhaft bei gegebenen Versprechen.
Wir mögen uns selbst,
wenn wir uns trauen verlässlich zu sein,
weil man uns vertraut.
Wir spüren darin etwas, das mit Wahrheit zu tun hat
(das englische Wort „truth“ hat den gleichen Wortstamm
wie „Vertrauen“).
Wir mögen uns selbst,
wenn wir unbestechlich sind
und man uns für unbestechlich hält,
wenn unsere Werte
mit unserem Handeln übereinstimmen.
Aber:
Leider sind nicht nur die Menschen
in der Politik und in der Wirtschaft
und unsere Freunde in ihren Liebesbeziehungen
korrumpierbar,
d.h. durch Verlockungen und Drohungen von außen,
also durch andere in Versuchung gebracht,
sich selbst und anderen gegenüber untreu zu sein.
WIR sind es auch:
immer wieder
wird unser Anspruch von Übereinstimmung
zwischen Sein und Sollen,
zwischen Überzeugung und Handeln,
in Frage gestellt.
Durch Drohung und Verlockung von außen.
Tatsächlich von außen ???
NEIN !
Immer dann,
wenn meine Treue von außen, von jemand anderem,
in Frage gestellt werden kann,
immer dann habe ich sie für jemand anderen, nach außen hin,
versprochen.
Statt mir selbst !!!
Treue
zu meinen Werten,
meinen Verbindlichkeiten und Verpflichtungen,
in meinen Beziehungen
und in meiner Partnerschaft
ist in erster Linie
Treue zu mir selbst,
meinem Sein, wie es eigentlich ist.
Unabhängig von Drohungen und Verlockungen von außen
und unabhängig vom Gegenüber, dem meine Treue gilt.
Treue ist das,
was meine Seele zutiefst erfüllt.
Erst dann, gleichzeitig oder dem folgend,
erfüllt sie den, dem meine Treue gilt.
Oder auch nicht.
Treue versetzt mich selbst in einen Zustand von Zufriedenheit,
langfristiger Zufriedenheit.
Ich bin selbst verantwortlich für das Erleben meines Lebens.
Auch für das Erleben von Zufriedenheit.
Treue macht zufrieden. Langfristig.
Und:
Ich muss nicht treu sein.
Die anderen werden schon darüber hinweg kommen.
Ich nicht.
Ich entscheide mich für Treue.
Für meine verbindlichen Verpflichtungen.
Solange, bis ich sie beende.
Solange bin ich treu.
So bleibe ich mir treu.
Durch Treue.
Und vielleicht lade ich damit jemanden ein,
sich selbst treu zu sein.
Kann sein,
dass wir beide so große Lust haben
uns selbst treu zu sein,
dass wir große Lust haben treu zu sein.
Das ist dann womöglich Liebe.
Begeisterung
Begeisterung
Ich wär so gern ein Lachs,
der zusammen mit Freunden
heiter den klaren Bach – gegen den Strom – hinauf springt,
vorbei an den lauernden Bärentatzen,
hin zu den seichten Gewässern,
um dort wohlig entspannnt
meinen Laich abzulegen,
damit sich meine Bestimmung erfülle.
Stattdessen dümpelt mein Laichen
zwischen grauer Monotonie und migränischem Erfolgsdruck
mit perfektionistischer Verzweiflung:
ein grauer Tag zwischen Sommer und Winter,
ein graues Haar zwischen Fülle und Leere,
ein graues Gefühl zwischen Nähe und Distanz.
Dabei
zerrissen zwischen Trägheit und Verpflichtung,
zerfressen von drohender Vergänglichkeit,
zermürbt von lähmender Einsamkeit.
Manchmal schwimmt er mir weg, der Lachs.
Dann erwache ich mit der Angst
vor verloren gegangener Begeisterung
mit erfüllender Leidenschaft.
Im Halbschlaf träume ich von der Befriedigung
der großen, tiefen Sehnsucht.
Und gerate in den Strudel von „Brot und Spiele“,
den mir Politiker, Lebensberater
und meine eigenen Grautöne
so gerne nahe legen:
Das Smart-Phone, das Urlaubs-Glück, die Bauch-Flugzeuge,
die Rotwein-Dämmerung, die Spiele-Tempel,
die Anti-Aging-Wellness, die Hobby-Keller, die TV-Couch,
die Shopping-Freuden und die Sekten-Gurus.
Das alles sei mir doch gegönnt,
um etwas Farbe in das trübe Grau zu bringen.
Und doch erinnert mich all das immer wieder daran,
dass punktuelle Begeisterung
einen grauen Beigeschmack behält,
nach Steigerung giert
und mich nicht in der Tiefe berührt.
Eigentlich möchte ich viel lieber dauerhaft
in meiner Mitte sein,
im friedlichen Einklang mit Zeit und Welt,
mich wohlfühlen können mit mir und anderen,
mich berühren lassen zwischen Nähe und Distanz.
Nein, ich will nicht der Esel sein, der lernen muss
nach der Karotte zu schnappen
und der Peitsche auszuweichen.
Ich will viel lieber der Hefeteig sein,
der sich von der Schüssel gehalten weiß,
um in ihr aufzugehen und zu wachsen.
Und stelle fest:
Es geschieht.
Ich kann es nicht machen.
Wenn ich es geschehen lasse,
dann ist es “well done“.
Ich will der Lachs sein.
Unterwegs.
Mich einlassen auf das, was mir begegnet.
Mit Freunden. Und Freuden.
Aufwärts. Gegen den Strom.
Der Sonne entgegen.
Berührt vom Sprung des Freundes neben mir.
Wenn jede Gräte sich in wohliger Mühe räkelt.
Mitten im gemeinsamen Sprung
berührt von der Gewissheit,
dass unser gemeinsames Laichen geschieht,
so oder so.
Und auf einmal
bin ich von allen guten Geistern
begeistert.
Und wieder in meiner Mitte.