Sonnenstuhl
Sonnenstuhl
Die Sonne scheint herein.
Aber ich sitze auf dem Schreibtischstuhl
da, wo es dunkel ist.
Wir Menschen sind immer wieder gerne mal Utopisten.
Utopie (u = falsch, topie = Ort)
heißt übersetzt:
Der Stuhl steht falsch.
Und dann sitzen wir da im Dunkeln
und fragen uns:
Wer bin ich? Wer soll ich werden?
Wo bin ich? Wohin soll ich gehen?
Was soll ich tun und was lassen?
Wie geht eigentlich Glücklichsein und –werden?
Da schleicht ein Sonnenstrahl um die Ecke
und erwischt mich.
Ich stelle fest:
Oh, ja, ich habe Verbundenheit, Begabung,
Orientierung, Liebe und Lebenslust.
Ich bin mit wunderbaren Menschen verbunden,
kann ohne Forderung empfangen
und ohne egoistische Fürsorglichkeit geben.
Ich habe einzigartige
Begabungen, Talente und Fähigkeiten,
die ich genießen, würdigen
und verantwortlich anbieten kann.
Ich weiß, welche Werte ich habe,
was mir wirklich wichtig ist
und ich übe mich darin,
diesen Sinn zu verwirklichen.
Immer dann, wenn ich innehalte
und in mein Herz hinein spüre,
finde ich dort Sanftmut, Güte und Liebe,
die sich in die Welt hinausdehnen wollen.
Angeregt durch all die Schönheit draußen
und die Schönheit in mir,
erlebe ich eine hinreißende, unbändige Lebenslust,
die mich tanzen, singen, lachen und feiern lässt.
Und mir Dankbarkeit schenkt.
Und immer dann,
wenn ich nicht weiß,
wohin ich gehen soll und wohin nicht,
was ich tun soll und was nicht
und was ich zu wem sagen oder nicht sagen soll,
immer dann,
wenn ich Angst und Zweifel erlaube da zu sein
und beide nicht mehr bekämpfe,
immer dann,
erwischt mich ein Sonnenstrahl,
der um die Ecke kommt.
Dann verwandeln sich Angst und Zweifel
in die Freiheit
des Sowohl als Auch.
Und in das Geschehenlassen von Gleichzeitigkeit.
In dieser Verwandlung
richtet sich ganz automatisch mein Fokus
auf das Beschenktsein.
Und die Dankbarkeit.
Dann weiß ich wieder, was zu tun ist.
Was hülfe es dem Menschen,
wenn er die ganze Welt gewönne,
wenn all seine Wünsche, Erwartungen und Forderungen
erfüllt würden
und er mit seiner Seele
im Dunkeln sitzen bliebe.
Erfülltes Leben ereignet sich
in der Balance von Arbeit und Muße,
dem liebevollen Beitragen,
das aus der Realisierung von Beschenktsein erwächst.
Manchmal hilft es,
das Beschenktsein
mit dem ersten, eigenen kleinen Schritt zu realisieren:
Ich rücke meinen Stuhl in die Sonne (Tun),
lasse mich erleuchten und erwärmen (Geschenk)
und bringe Licht und Wärme in die Welt (Beitrag).
Und dann sind sie alle wieder da,
die Verbundenheit,
die Begabung,
die Orientierung,
die Liebe
und die Lebenslust.
Und dann gibt es nur noch
Dankbarkeit.
Resilienz
Resilienz
Manchmal sind wir
träge, lustlos, kraftlos, müde und ausgebrannt.
Körperliche Symptome stellen sich ein.
Es ergreift uns ein Gefühl von Sinnlosigkeit.
Es ist,
als säßen wir vor einer unüberwindbaren Mauer.
Wir haben es doch oft genug probiert,
die Mauer ist zu hoch, die Herausforderung zu groß,
wir schaffen es nicht.
Bei unserem andauernden, erfolglosen Versuch,
die Mauer zu überwinden,
haben wir uns blutende Wunden zugezogen.
Und während wir vor der Mauer sitzen,
um die Wunden ausheilen zu lassen,
spüren wir intuitiv,
dass das Anstrengendste in unserem Leben
die Anstrengungsvermeidung ist,
die Angst vor dem nächsten Versuch.
In den stillen Stunden des Leidens und des Heilens
beginnen wir zu träumen.
Wehmütig und verzweifelt träumen wir von
Resilienz.
Jener wunderbaren Eigenschaft,
die wir unseren Kindern mitgegeben haben
und auf die wir nun nicht zurückgreifen können.
Wir betrachten unsere Kinder,
mit ihrem Optimismus, ihrer Spielfreude, ihrer Lebenslust.
Wir sehen ihre tragenden Beziehungen,
ihre hinreißenden Kompetenzen,
ihre ermutigenden Werte,
ihre Verantwortlichkeit für sich und andere
ihre Träume und Visionen von einer besseren Welt.
Und wir selbst
können auf all diese wunderbaren Eigenschaften
von Resilienz,
von Widerstandsfähigkeit und Belastbarkeit,
nicht zurückgreifen,
weil die Mauer zu hoch ist.
Wir warten darauf,
dass die Resilienz,
die ganz offensichtlich nicht angeboren ist,
vom Himmel fällt.
Auf einmal,
während wir vor der Mauer sitzen
und verzweifelt resignieren,
geschieht das Wunder:
Es ist dieses Gefühl von Sinnlosigkeit,
das vom Himmel gefallen ist.
Ich muss Verzweiflung nicht bekämpfen
und Resilienz nicht erzwingen.
Es ist mir in tiefster Sinnhaftigkeit erlaubt,
träge, lustlos, kraftlos, müde und ausgebrannt zu sein.
Genau das ist mein größtes Geschenk:
Das akzeptierte Sinnlosigkeitsgefühl
ist die Wende
zur Sinnfindung.
Und ich erkenne:
die wörtliche Übersetzung von Resilienz
ist Abprallen,
zurück geworfen werden.
Das heißt:
Die Mauer ist mein Segen.
Ich werde von der Mauer zurück geworfen,
zurück zu meiner ursprünglichen Ausgeglichenheit,
in der ich Kraft sammle,
die Mauer zu erklimmen,
zu umgehen,
einzureißen
oder zu überspringen.
Hin zu einer
noch ausgewogeneren Ausgeglichenheit.
Welch ein Geschenk.
In dieser Wende, meiner Hinwendung
zu meiner ursprünglichen und meiner neu gewonnenen
Ausgeglichenheit,
erkenne ich die Liebe,
die auszudrücken
ich auf diese Welt gekommen bin.
Mit dieser Liebe
will ich gütig und freundlich
Menschen begleiten,
die vor ihren Mauern sitzen.
Ich will ihren Garten nicht mit meinem Mist düngen.
Aber ich will meinen Schoß hinhalten,
damit sie ihren Kopf hinein legen können.
Liebesbeziehung
Liebesbeziehung
„Warum überhaupt unbedingt Liebesbeziehung“
fragen sich Millionen Männer und Frauen
in unseren Wohlstandsgesellschaften,
bevor sie fruchtbar werden und sich vermehren.
Oder kurz danach.
Es gibt einen guten Grund:
in den meisten Ländern dieser Welt
ist man aufeinander angewiesen.
Und das galt bis vor wenigen Jahrzehnten
auch für die reichen Länder.
Aber heute?
Man kann doch auch die Kinder lieben oder die Eltern,
Freunde, Kollegen oder Haustiere.
Oder Gott lieben und ins Kloster gehen.
Oder Single bleiben und sich viele Schmerzen ersparen.
Besonders Frauen
(wenn sie nicht in sozialen Berufen arbeiten)
sind heute nicht mehr angewiesen,
können sich ganz unabhängig,
ihrer Karriere oder Selbstverwirklichung widmen.
(so wie es viele Männer es immer schon tun).
Warum aber sind immer wieder Menschen bereit,
sich auf eine Liebesbeziehung einzulassen?
Vielleicht deshalb, weil sie immer mal wieder
gute Erfahrungen gemacht haben oder erhoffen.
Und tatsächlich:
wirkliche Glückseligkeit
mit tiefem Vertrauen und hingebender Liebe,
bedingungsloser Akzeptanz von Andersartigkeit
und himmlischer Geborgenheit,
gibt es nur in der Liebesbeziehung.
Aber der Preis ist hoch:
Je mehr sich zwei Menschen füreinander öffnen
und je dichter die Nähe zueinander wird,
desto sicherer ist die Garantie für gegenseitige Verletzung.
Oftmals gibt es dann Dramen von Machtkampf,
Urteil, Umerziehung, Eifersucht, Hass, Gewalt,
Mord und Totschlag und einer Einsamkeit,
die schlimmer ist als die, die ein Single je erleben kann.
Die Partner in einer Liebesbeziehung denken,
dass das, was sie dem anderen vorwerfen das ist,
was der ihnen angetan hat.
In Wirklichkeit geben sie ihm die Schuld für das,
was sie selbst ihm angetan haben.
Tatsächlich aber zeigen wir dem anderen
unsere Ängste, unsere Schwächen, unsere wahren Nöte,
unsere gegenwärtigen und alten Verletzungen nicht,
weil wir Angst haben, dann verlassen zu werden.
Stattdessen geben wir lieber dem anderen die Schuld
oder fliehen in die nächste romantische Seligkeit
von kurzer Dauer, bis die Verletzungen wieder hoch kommen.
Dann tyrannisieren wir den nächsten Partner
mit unserer Sehnsucht nach Geliebtwerden.
So geht es immer wieder nur um Schmerzvermeidung:
Partner denken, der Schmerz geht nach der Trennung weg,
Single denken, der Schmerz geht in der Beziehung weg.
Aber ja doch, es gibt einen Weg. Der Weg heißt:
gemeinsame Entgiftung.
Und das ist einer von zwei wesentlichen Gründen,
die für das Einlassen auf eine Liebesbeziehung sprechen:
Zwei Menschen wollen heil werden, aneinander und miteinander.
Selbst heil werden und dem anderen helfen, heil zu werden.
Diese beiden Partner einer Liebesbeziehung
sagen dann zu dem anderen:
Egal, was bei Dir hoch kommt,
an alten oder derzeitigen Verletzungen
und egal, wie sehr mich das verletzt,
was da bei Dir hoch kommt und sich ausdrückt,
ich bin für Dich da.
Ich will Dich nicht mehr tyrannisieren
mit meiner Sehnsucht nach Geliebtwerden,
will nicht mehr,
dass Du so funktionierst wie ich das brauche,
will Dich nicht mehr erziehen und therapieren.
Ich bin für Dich da.
Und so ergibt sich automatisch
ein zweiter guter Grund für eine Liebesbeziehung:
Zwei Menschen,
die aneinander Liebe und Frieden finden und schenken,
die ihr Glück im Lieben finden, statt im Geliebtwerden,
bringen Liebe und Frieden in die Welt.
Den Himmel auf Erden,
der das Höllische versöhnt, statt verleugnet,
kann man nur zu zweit erleben.