Archiv | Februar 2015

Sonnenstuhl

Sonnenstuhl

 

Die Sonne scheint herein.

Aber ich sitze auf dem Schreibtischstuhl

da, wo es dunkel ist.

 

Wir Menschen sind immer wieder gerne mal Utopisten.

Utopie (u = falsch, topie = Ort)

heißt übersetzt:

Der Stuhl steht falsch.

 

Und dann sitzen wir da im Dunkeln

und fragen uns:

Wer bin ich? Wer soll ich werden?

Wo bin ich? Wohin soll ich gehen?

Was soll ich tun und was lassen?

Wie geht eigentlich Glücklichsein und –werden?

 

Da schleicht ein Sonnenstrahl um die Ecke

und erwischt mich.

Ich stelle fest:

Oh, ja, ich habe Verbundenheit, Begabung,

Orientierung, Liebe und Lebenslust.

 

Ich bin mit wunderbaren Menschen verbunden,

kann ohne Forderung empfangen

und ohne egoistische Fürsorglichkeit geben.

 

Ich habe einzigartige

Begabungen, Talente und Fähigkeiten,

die ich genießen, würdigen

und verantwortlich anbieten kann.

 

Ich weiß, welche Werte ich habe,

was mir wirklich wichtig ist

und ich übe mich darin,

diesen Sinn zu verwirklichen.

 

Immer dann, wenn ich innehalte

und in mein Herz hinein spüre,

finde ich dort Sanftmut, Güte und Liebe,

die sich in die Welt hinausdehnen wollen.

 

Angeregt durch all die Schönheit draußen

und die Schönheit in mir,

erlebe ich eine hinreißende, unbändige Lebenslust,

die mich tanzen, singen, lachen und feiern lässt.

Und mir Dankbarkeit schenkt.

 

Und immer dann,

wenn ich nicht weiß,

wohin ich gehen soll und wohin nicht,

was ich tun soll und was nicht

und was ich zu wem sagen oder nicht sagen soll,

immer dann,

wenn ich Angst und Zweifel erlaube da zu sein

und beide nicht mehr bekämpfe,

immer dann,

erwischt mich ein Sonnenstrahl,

der um die Ecke kommt.

 

Dann verwandeln sich Angst und Zweifel

in die Freiheit

des Sowohl als Auch.

Und in das Geschehenlassen von Gleichzeitigkeit.

 

In dieser Verwandlung

richtet sich ganz automatisch mein Fokus

auf das Beschenktsein.

Und die Dankbarkeit.

Dann weiß ich wieder, was zu tun ist.

 

Was hülfe es dem Menschen,

wenn er die ganze Welt gewönne,

wenn all seine Wünsche, Erwartungen und Forderungen

erfüllt würden

und er mit seiner Seele

im Dunkeln sitzen bliebe.

 

Erfülltes Leben ereignet sich

in der Balance von Arbeit und Muße,

dem liebevollen Beitragen,

das aus der Realisierung von Beschenktsein erwächst.

 

Manchmal hilft es,

das Beschenktsein

mit dem ersten, eigenen kleinen Schritt zu realisieren:

 

Ich rücke meinen Stuhl in die Sonne (Tun),

lasse mich erleuchten und erwärmen (Geschenk)

und bringe Licht und Wärme in die Welt (Beitrag).

 

Und dann sind sie alle wieder da,

die Verbundenheit,

die Begabung,

die Orientierung,

die Liebe

und die Lebenslust.

 

Und dann gibt es nur noch

Dankbarkeit.

Resilienz

Resilienz

 

Manchmal sind wir

träge, lustlos, kraftlos, müde und ausgebrannt.

Körperliche Symptome stellen sich ein.

Es ergreift uns ein Gefühl von Sinnlosigkeit.

 

Es ist,

als säßen wir vor einer unüberwindbaren Mauer.

Wir haben es doch oft genug probiert,

die Mauer ist zu hoch, die Herausforderung zu groß,

wir schaffen es nicht.

 

Bei unserem andauernden, erfolglosen Versuch,

die Mauer zu überwinden,

haben wir uns blutende Wunden zugezogen.

 

Und während wir vor der Mauer sitzen,

um die Wunden ausheilen zu lassen,

spüren wir intuitiv,

dass das Anstrengendste in unserem Leben

die Anstrengungsvermeidung ist,

die Angst vor dem nächsten Versuch.

 

In den stillen Stunden des Leidens und des Heilens

beginnen wir zu träumen.

Wehmütig und verzweifelt träumen wir von

Resilienz.

Jener wunderbaren Eigenschaft,

die wir unseren Kindern mitgegeben haben

und auf die wir nun nicht zurückgreifen können.

 

Wir betrachten unsere Kinder,

mit ihrem Optimismus, ihrer Spielfreude, ihrer Lebenslust.

Wir sehen ihre tragenden Beziehungen,

ihre hinreißenden Kompetenzen,

ihre ermutigenden Werte,

ihre Verantwortlichkeit für sich und andere

ihre Träume und Visionen von einer besseren Welt.

 

Und wir selbst

können auf all diese wunderbaren Eigenschaften

von Resilienz,

von Widerstandsfähigkeit und Belastbarkeit,

nicht zurückgreifen,

weil die Mauer zu hoch ist.

 

Wir warten darauf,

dass die Resilienz,

die ganz offensichtlich nicht angeboren ist,

vom Himmel fällt.

Auf einmal,

während wir vor der Mauer sitzen

und verzweifelt resignieren,

geschieht das Wunder:

 

Es ist dieses Gefühl von Sinnlosigkeit,

das vom Himmel gefallen ist.

 

Ich muss Verzweiflung nicht bekämpfen

und Resilienz nicht erzwingen.

Es ist mir in tiefster Sinnhaftigkeit erlaubt,

träge, lustlos, kraftlos, müde und ausgebrannt zu sein.

 

Genau das ist mein größtes Geschenk:

Das akzeptierte Sinnlosigkeitsgefühl

ist die Wende

zur Sinnfindung.

 

Und ich erkenne:

die wörtliche Übersetzung von Resilienz

ist Abprallen,

zurück geworfen werden.

 

Das heißt:

Die Mauer ist mein Segen.

 

Ich werde von der Mauer zurück geworfen,

zurück zu meiner ursprünglichen Ausgeglichenheit,

in der ich Kraft sammle,

die Mauer zu erklimmen,

zu umgehen,

einzureißen

oder zu überspringen.

Hin zu einer

noch ausgewogeneren Ausgeglichenheit.

Welch ein Geschenk.

 

In dieser Wende, meiner Hinwendung

zu meiner ursprünglichen und meiner neu gewonnenen

Ausgeglichenheit,

erkenne ich die Liebe,

die auszudrücken

ich auf diese Welt gekommen bin.

 

Mit dieser Liebe

will ich gütig und freundlich

Menschen begleiten,

die vor ihren Mauern sitzen.

Ich will ihren Garten nicht mit meinem Mist düngen.

Aber ich will meinen Schoß hinhalten,

damit sie ihren Kopf hinein legen können.

Liebesbeziehung

Liebesbeziehung

 

„Warum überhaupt unbedingt Liebesbeziehung“

 

fragen sich Millionen Männer und Frauen

in unseren Wohlstandsgesellschaften,

bevor sie fruchtbar werden und sich vermehren.

Oder kurz danach.

 

Es gibt einen guten Grund:

in den meisten Ländern dieser Welt

ist man aufeinander angewiesen.

Und das galt bis vor wenigen Jahrzehnten

auch für die reichen Länder.

 

Aber heute?

Man kann doch auch die Kinder lieben oder die Eltern,

Freunde, Kollegen oder Haustiere.

Oder Gott lieben und ins Kloster gehen.

Oder Single bleiben und sich viele Schmerzen ersparen.

 

Besonders Frauen

(wenn sie nicht in sozialen Berufen arbeiten)

sind heute nicht mehr angewiesen,

können sich ganz unabhängig,

ihrer Karriere oder Selbstverwirklichung widmen.

(so wie es viele Männer es immer schon tun).

 

Warum aber sind immer wieder Menschen bereit,

sich auf eine Liebesbeziehung einzulassen?

Vielleicht deshalb, weil sie immer mal wieder

gute Erfahrungen gemacht haben oder erhoffen.

 

Und tatsächlich:

wirkliche Glückseligkeit

mit tiefem Vertrauen und hingebender Liebe,

bedingungsloser Akzeptanz von Andersartigkeit

und himmlischer Geborgenheit,

gibt es nur in der Liebesbeziehung.

 

Aber der Preis ist hoch:

 

Je mehr sich zwei Menschen füreinander öffnen

und je dichter die Nähe zueinander wird,

desto sicherer ist die Garantie für gegenseitige Verletzung.

Oftmals gibt es dann Dramen von Machtkampf,

Urteil, Umerziehung, Eifersucht, Hass, Gewalt,

Mord und Totschlag und einer Einsamkeit,

die schlimmer ist als die, die ein Single je erleben kann.

 

Die Partner in einer Liebesbeziehung denken,

dass das, was sie dem anderen vorwerfen das ist,

was der ihnen angetan hat.

In Wirklichkeit geben sie ihm die Schuld für das,

was sie selbst ihm angetan haben.

 

Tatsächlich aber zeigen wir dem anderen

unsere Ängste, unsere Schwächen, unsere wahren Nöte,

unsere gegenwärtigen und alten Verletzungen nicht,

weil wir Angst haben, dann verlassen zu werden.

 

Stattdessen geben wir lieber dem anderen die Schuld

oder fliehen in die nächste romantische Seligkeit

von kurzer Dauer, bis die Verletzungen wieder hoch kommen.

Dann tyrannisieren wir den nächsten Partner

mit unserer Sehnsucht nach Geliebtwerden.

 

So geht es immer wieder nur um Schmerzvermeidung:

Partner denken, der Schmerz geht nach der Trennung weg,

Single denken, der Schmerz geht in der Beziehung weg.

 

Aber ja doch, es gibt einen Weg. Der Weg heißt:

gemeinsame Entgiftung.

 

Und das ist einer von zwei wesentlichen Gründen,

die für das Einlassen auf eine Liebesbeziehung sprechen:

Zwei Menschen wollen heil werden, aneinander und miteinander.

Selbst heil werden und dem anderen helfen, heil zu werden.

 

Diese beiden Partner einer Liebesbeziehung

sagen dann zu dem anderen:

Egal, was bei Dir hoch kommt,

an alten oder derzeitigen Verletzungen

und egal, wie sehr mich das verletzt,

was da bei Dir hoch kommt und sich ausdrückt,

ich bin für Dich da.

Ich will Dich nicht mehr tyrannisieren

mit meiner Sehnsucht nach Geliebtwerden,

will nicht mehr,

dass Du so funktionierst wie ich das brauche,

will Dich nicht mehr erziehen und therapieren.

Ich bin für Dich da.

 

Und so ergibt sich automatisch

ein zweiter guter Grund für eine Liebesbeziehung:

Zwei Menschen,

die aneinander Liebe und Frieden finden und schenken,

die ihr Glück im Lieben finden, statt im Geliebtwerden,

bringen Liebe und Frieden in die Welt.

 

Den Himmel auf Erden,

der das Höllische versöhnt, statt verleugnet,

kann man nur zu zweit erleben.