Archiv | Juni 2012

Gutmensch

 Eigentlich bin ich ein guter Mensch.

Ich bin pünktlich, fleißig, diszipliniert, reflektiert,

angepasst, besonnen, kirchlich, sozial und demokratisch.

Ich helfe Schwangeren über die Straße

und wertschätze gestörte Kinder und verbitterte Alte.

Ich vermeide Kokain und Legebatterien,

bewege mich in der Natur

und spende für den Regenwald.

Alle sollen sehen, dass ich ein guter Mensch bin,

dafür hinterlasse ich schweißperlend, gute Eindrücke.

Und manchmal erröte ich vor Stolz,

wenn ich in den Spiegel schaue

Außerdem liebe ich Wein, Weib und Gesang,

esse gerne fette Haxen,

lungere vor dem Fernseher rum,

pflege meine Süchte,

mache einen großen Bogen um die Arbeit,

tratsche über Nachbarn und Kollegen,

schwelge in Genüssen und Rachegelüsten,

spüre große Lust, gestörte Kinder und verbitterte Alte

an die Wand zu klatschen,

verprasse sinnlos meine Spendengelder

und bin leidenschaftlich

unchristlich, unsozial und undemokratisch.

Meist erröte ich in solchen Momenten etwas weniger,

genieße stattdessen das Prickeln trocknenden Schweißes.

Immer dann, wenn ich begreife,

dass in mir Gott und Teufel, Heiliger und Hure wohnen,

wird aus dem Schweißprickeln ein Herzjucken,

weil das Herz sich ausdehnen will.

Dann beginne ich,

mich ein klein wenig zu verstehen und zu mögen,

ein erster kleiner Schritt,

andere zu verstehen und zu mögen.

Mich und andere nicht mehr zu belehren, zu reglementieren,

zu pädagogisieren, zu psychologisieren, zu theologisieren,

zu bewerten und zu beurteilen.

Ein erster kleiner Schritt.

Für heute erstmal genug.

Ich begreife,

dass das Eingestehen meiner Begierden, und Untugenden

der Weg ist, sie nicht mehr alle haben zu müssen.

Ich muss mir auch von mir selbst

nicht mehr alles gefallen lassen.

Jemand, dessen Gott Tugend, Gehorsam, Willkür,

Begierde und Askese verordnet,

hat einen schweißtreibenden Gott.

Der Gott aber, bei dem ich in keinem Augenblick

meines Lebens erröten muss,

verordnet Welpenschutz, Narrenfreiheit,

Augenhöhe, Heiligenstatus und Gnade.

Wer könnte sich da mit mir vergleichen können.

Ich, der ich jetzt endlich nicht mehr

so viel Theater um mich selbst machen muss,

muss weder zwanghaft sein, noch willkürlich.

Ich lass mich von Gnade tragen

und von sonst nichts.

Marionette

Es gibt ja die Theorie von der Sehnsucht des Menschen

nach seinen ersten 9 Monaten in der Gebärmutter.

Alles war gut.

Wir waren in wundervoll warmer und zarter

Versorgung, Beziehung und Verbundenheit.

Alle Werte, Bestimmungen und Kompetenzen,

die wir später mehr oder weniger entdeckt

und entwickelt haben, waren bereits angelegt.

Voller Glück und Lebenslust tanzten und kugelten wir uns

in dankbarer Abhängigkeit.

Und seit der Abnabelung

und der Idee, keine Marionette sein zu wollen

kämpfen wir um die Balance von Freiheit und Abhängigkeit.

Seitdem ziehen, drücken, streiten und kämpfen wir,

wir suchen, jagen, fordern und erzwingen :

Als ich mit allen Mitteln Sicherheit suchte,

versank ich in Angst.

Als ich Glück und Lebenslust erzwingen wollte,

liefen sie mir weg.

Als ich die Leuchte meines Weges sein wollte,

ruderte ich in der Dunkelheit eigenen Sumpfes.

Als ich mit Gewalt Frieden wollte,

schmiedete ich mir Waffen.

Als ich am Hefeteig ziehen wollte,

klebte ich an der Gier.

Als ich Menschen an mich binden wollte,

verlor ich sie.

Als ich Karriere und Wohlstand erzwang,

verarmte ich in Einsamkeit.

Und als ich mich endlich zu eigener Mitte erhob,

verlor ich mich.

Da besann ich mich,

dass die 9 Monate, die ich so himmlisch empfand,

der Übergang waren von dem Himmel,

aus dem ich ursprünglich komme

und der alles Zeitliche ewigkeitlich sein lässt.

Es gibt in uns Menschen,

seit der Zeugung durch Zeugen des Lebens,

 in jedem Menschen,

so eine tiefe innere Gewissheit,

die nur durch ein paar Umstände

ein wenig zugedeckt ist:

Wenn Du die Hände nach oben streckst,

zur Sonne, zum Leben hin,

da gibt es solche Energiestrahlen,

fast so wie samtene Bindfäden,

die Dich tragen und führen.

Mit denen kannst Du über glühende Kohlen gehen,

über spitze Steine,

über dunkle Schluchten,

und über reißende Flüsse.

Du musst nicht mehr Marionette von Menschen sein.

Und kein Marionettenspieler.

Weil Du dem Angebundensein an das Leben

vertrauen kannst.

Wenn Du als Abgenabelter die Fäden spürst,

dann ist alles gut.

Und wenn Du sie nicht spürst,

sind sie trotzdem da.

Trotz allem.

Dann schwebst Du über Kohlen, Steine,

Schluchten und Flüsse.

Spürst die Wärme, das Prickeln,

das Licht und die warme Feuchtigkeit.

Und manchmal,

wenn Du ganz losgelassen hast,

kannst Du auch darüber laufen,

über Kohle, Steine, Schluchten und Flüsse.

Auch dann ist der Himmel schon jetzt da,

auf den Du nicht mehr warten musst.

Und dann weißt Du,

dass ALLES gut IST !

Euro

Ich weiß es doch,

die Euro-pameisterschaft hat sehr viel mit dem Euro zu tun.

Die jetzige soll 10 Milliarden kosten,

fünfmal soviel wie die letzte.

Nach den vier Wochen der Besänftigung (Brot und Spiele),

in der die Verletzung der Menschenrechte

verdrängt und verleugnet werden soll,

wird es unzählige neue Arbeitslose geben,

eine neue Armut könnte ausbrechen.

Und doch:

Diese wunderbare Möglichkeit,

wegen eines Rückreisestaus die Autobahn für zwei Stunden

verlassen zu können, um ein gutes Spiel zu sehen,

hat starke Glücksgefühle ausgelöst.

Wie kommt es – trotz all meiner Kritik an den Umständen –

zu solch einer Faszination und Begeisterung,

die ich mit Milliarden Zeitgenossen teile ?

Bei mir kam es vielleicht so:

Ich durfte auf dem Bolzplatz in meiner Heimatstadt

nie mitkicken, weil ich zu klein war.

Und wollte so gern dazugehören.

Deswegen war mein allersehnlichster Weihnachtswunsch

ein echter Lederfußball.

Ein halbes Jahr noch bis Heiligabend.

Dann die Bescherung.

Erst Gottesdienst. Dann dieses grausam lange Essen.

Dann diese unerträglich langweiligen Päckchen.

Warten, bis alle ausgepackt hatten.

Nirgends etwas rundes.

Bis Mutter meine Tränen tiefsten Unglücks

nicht mehr ertragen konnte –

und mich bat hinter den Baum zu schauen…

Der liebe Gott muss Fußballer sein.

Ich habe diesen echten Lederfußball

jeden Abend mit ins Bett genommen.

Und auch im Frühling noch lange gewartet,

bis jemand erstmalig dagegen treten durfte.

Das Symbol des Dazugehörens war für immer

in meine Seele eingebrannt.

Zu-klein-sein für irgend etwas, war nie mehr Thema.

Das, was ich habe, kann und bin,

teile ich gerne.

Ich lasse gerne andere mitspielen,

denn ich weiß, dass andere viel können und viel sind,

auch wenn sie weniger haben.

Ich bin fasziniert von Fußballern, die viel können

oder hart trainieren, damit sie viel können.

Und von Menschen, die ihre Kompetenzen

so einbringen, dass andere erfolgreich sein können.

Ein gutes Spiel kann mich begeistern und faszinieren.

Dafür würde ich nachts aufstehen.

Aber auch für die Menschenrechte.

Seit diesem unvergesslichen Weihnachten,

weiß ich, wie Glück riecht,

dauerhaft und nachhaltig riecht:

Gott ist Menschenrechtler.

Und Dazugehörer.

Und Fußballer.

Und wenn Du es anders siehst,

darfst Du trotzdem mitspielen,

denn Du bist auch ein Dazugehörer !

Duften und Blühen

Und immer wieder kommt der Fall der Fälle

In dem ich mich zu neuen Zielen fliehe

Heraus aus Freundschaft Wohnung Arbeitsstelle

Damit die Hoffnung mich aus grauem Alltag ziehe

In aller Regel kommt das Fliehn vom Mangeldenken

Die fehlende Zufriedenheit die treibt es an

Drei ferne Sommersonnenwochen solln Erfüllung schenken

Damit die Arbeitskraft regenerieren kann

Da sehe ich in meinem Beet die Blume stehn

Wie ihre Blütenblätter planlos sich entfalten

Sie lässt sich von der Sonne zum Erblühen drehn

Und weiß – sie muss nur Stille halten

Erwacht aus nächtlicher Geborgenheit

Kann sie an ihrem guten Platz verweilen

Gewärmt und aus der Tiefe guten Grundes sanft getränkt

Realisiert sie ihren Auftrag Duft zu teilen

Dem Menschen ist wohl aufgetragen

Aus vielen Beeten Kräftigung und Duft zu schenken

Wir könn`den Wechsel unsres Beetes dann am besten wagen

Wenn wir die Dankbarkeit auf das jetzt grad Gelebte lenken

Das will ich mir vom Duften und Blühen der Blume behalten

Die Wärme des Lebendigen kann niemals erkalten

Ich brauche nicht des Strebens belastende Mühe

Weil ich im vertrauensvoll stillen Innehalten

Für mich und den Mitmensch des Augenblicks

Am besten dufte und blühe