Advent
Advent
Ich schlendere über den Weihnachtsmarkt.
Mit allen Sinnen.
Ich sehe
all die glänzenden Lichter,
die vielen leckeren Süßigkeiten
und die Menschen, die Geschenke kaufen.
Ich höre
die schönen alten Weihnachtslieder,
die Glocken der Kirche und des Karussells
und die Menschen, die fröhlich essen und trinken.
Ich rieche
den Glühwein und die Wurst,
die Kohle unter den heißen Maronen
und die Menschen, mit frischem Deo über dem Alltagsschweiß.
Ich schmecke
wie Sehen, Hören und Riechen auf der Zunge landen,
gebrannte Mandeln nach der Qual der Wahl
und die Menschen, die sich im Genuss verbinden.
Ich fühle
das Wasser im Munde zusammen laufen,
die kühlende Luft auf der Haut
und die Menschen, die in der Warteschlange Kontakt suchen.
All das verbinde ich mit kindlichem Glück,
mit Frieden, Freude und Vorfreude.
Aber irgendetwas ist anders in diesem Jahr:
ich sehe einen Mann mit einem schwarzen Vollbart.
Mit meiner Tüte gebrannter Mandeln
schlendere ich weiter
und bleibe vor der Krippe stehen.
Sonst nie in den vergangenen Jahren,
aber erstmalig in diesem Jahr,
bleibe ich vor der Krippe stehen
(es gibt noch Weihnachtsmärkte mit Krippen).
Ich spüre einen Schreck,
so ein kleines schlechtes Gewissen:
Was hat mich all die Jahre
so achtlos an der Krippe vorbei gehen lassen?
Bin ich ein Heiliger Konsument ?
Bin ich einer,
der sich mit Konsum von seiner Angst ablenkt ?
Habe ich womöglich aus ungeheilter Angst
„böse“ Gedanken
und Böses in die Welt gebracht ?
Ich lasse mich vom Anblick der Krippe berühren:
Nein ! Das „Böse“ gibt es nicht !
Es sind meine lieblosen Gedanken
(die aus meinen Ängsten kommen)
über Dinge, Situationen und Menschen.
Und auf einmal,
mittendrin in all dem Glitzer, den Klängen, den Gerüchen,
der gebrannten Mandel auf meiner Zunge
und den Menschen, die kurz innehalten
und mich kurz berühren,
während sie mich da stehen sehen,
öffnen sich ein klein wenig meine Sinne,
hin zu einer anderen Wahrnehmung:
Ich sehe, höre, rieche, schmecke und fühle
angesichts dieser Krippe
so etwas ganz Sanftes in mir,
in den anderen Menschen,
in allen anderen Menschen,
in den Menschen mit schwarzen Vollbärten
und zwischen mir und den anderen Menschen.
Nein, das gibt es nicht, das Böse.
Dieses Sanfte,
in mir und allen anderen Menschen,
ist nur manchmal zugedeckt,
von irgendetwas anderem.
Advent heißt ja eigentlich „erwartungsvolle Ankunft“.
Aber seit ich kurz stehen blieb an der Krippe
weiß ich:
Ich muss nicht auf irgendetwas warten.
Ich darf mich erinnern:
Das liebevolle Sanfte ist in mir und allen anderen.
Alles Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen,
bei Weihnachtsmärkten, im Advent und an Weihnachten,
ist Erinnerung an das,
was längst schon da ist.
Bei allen.
Wer bin ich?
Wer bin ich ?
Wer bin ich eigentlich?
Bin ich meine unterschiedlichen Rollen?
Bin ich Leib, Seele und Geist?
Bin ich Produkt meiner Erfahrungen und Erkenntnisse?
Bin ich meine Gedanken und Gefühle?
Bin ich meine guten und schlechten Erinnerungen
an die Vergangenheit?
Bin ich meine Hoffnungen und Befürchtungen
für die Zukunft?
Bin ich der, dessen Gegenwart so sehr
von der Vergangenheit bestimmt ist,
dass dadurch die Zukunft geprägt wird?
Wer bin ich?
Ich bin der, der schlecht gelaunt Auto fährt (Gegenwart),
weil er keinen Parkplatz finden wird (Zukunft),
da er dort meistens keinen gefunden hat (Vergangenheit).
Ich bin der,
der bei der Arbeit ungerecht behandelt wird (Gegenwart),
und der deswegen verzweifeln und ausbrennen wird (Zukunft),
weil alle Kollegen immer nur an sich denken (Vergangenheit).
Ich bin der, der sich als nicht liebenswert fühlt (Gegenwart),
und wahrscheinlich wieder abgelehnt werden wird (Zukunft),
weil er das schon mehrfach erlebt hat (Vergangenheit).
Ich bin also der,
der kein Glück, keinen Sinn und keine Erfüllung findet,
weder beim Parken, noch bei der Arbeit, erstrecht nicht in der Liebe.
Der einzige Trost der mir bleibt ist der,
dass ich nichts dafür kann.
Etwas oder Jemand ist schuld,
die Situation, die Umstände, die Bedingungen,
die anderen, eine Person, die Menschen,
das Schicksal oder die Höhere Macht.
Keine rosigen Aussichten: Ich bin der schuldlose Verlierer.
Was tun?
Wie komme ich raus aus dem Teufelskreis?
Es muss einen besseren Weg geben!
Vielleicht so:
Ich verändere die andere Person oder die Situation.
Das ist aber nicht so ganz leicht.
Oder ich verlasse die andere Person oder die Situation.
Das ist schon etwas leichter.
Oder ich flüchte in Sucht und Depression.
Das ist noch leichter.
Ich bin aber nicht ganz sicher,
ob ich mit einer dieser Optionen
Glück, Sinn und Erfüllung finde.
Es muss einen besseren Weg geben.
Vielleicht so:
ich atme dreimal tief ein und aus und spüre, dass ich lebe.
Währenddessen stelle ich fest:
Ich BIN gar nicht die Angst.
Ich BIN nicht das Opfer.
Ich BIN nicht die Hoffnungslosigkeit.
Die Wahrheit, die vielleicht heilt, ist die:
Ich HABE Angst,
ich denke und fühle Opfersein und Hoffnungslosigkeit,
aber ich BIN das nicht.
In demselben Augenblick
bin ich in der Gegenwart angekommen,
die unabhängig ist von Vergangenheit und Zukunft.
Ich übernehme wieder Verantwortung für mein Leben,
für Glück, Sinn und Erfüllung.
Als Beobachter und Zeuge meiner selbst,
schaue ich mir sie an,
meine Angst -, Opfer – und Hoffnungslosigkeitsgefühle.
Kann gut sein,
dass das etwas weh tut,
für einen Moment vielleicht sogar stärker wird.
Aber dann,
während des Atmens,
und des Beobachtens meiner selbst,
geschieht das Wunder der Akzeptanz,
die die Wirklichkeit nicht mehr bekämpft.
Da öffnet sich ein neuer, besserer Weg:
Ich bin, der ich bin,
inklusive dem, das ich habe und nicht habe.
Und ich habe die wunderbare Freiheit,
für alles was ich bin und habe,
die Verantwortung so zu tragen,
dass ich Glück, Sinn und Erfüllung erfahre.
Christen und Muslime
Christen und Muslime
Fast überall auf der Welt geschieht es,
dass Menschen Politik und Religion vermischen.
Auch bei uns.
Daraus folgt dann zwangsläufig,
dass auch Krieg und Frieden, Angst und Liebe
und Vergeltung und Vergebung vermischt werden.
Auch bei uns.
Nach erneuten Terroranschlägen
und der wachsenden Zahl muslimischer Mitbürger
betonen einige Politiker,
dass Muslime und Islamisten
nicht in einen Topf geworfen werden dürften,
dass viele Muslime keine Terroristen seien
und dass viele Terroristen keine Muslime seien,
nur durch Geburt.
Das gilt dann wahrscheinlich auch für Christen,
dass viele Christen keine Christen sind.
Nur durch Geburt.
Niemand würde ernsthaft behaupten,
dass die in der christlichen Kultur lebenden
Vergewaltiger, Mörder, Waffenhändler
und Rüstungsverkäufer (Regierungen), Christen sind.
Sie sind es nur durch Geburt.
So, wie IS-Terroristen
nur durch Geburt Muslime sind.
Niemand würde ernsthaft behaupten,
dass es die Christen sind,
die die Asylbewerberheime anzünden.
Niemand würde ernsthaft behaupten,
dass es Christen sind, die ihre christlichen Werte
mit Rache, Gewalt und Mord verteidigen wollen.
Kann man denn ernsthaft annehmen,
dass man jungen arbeitslosen, einsamen und
verzweifelten Christen
nur ein wenig Gemeinschaft, Abenteuer
und ewiges Leben versprechen müsste,
um sie zu Terroristen ausbilden zu können?
Das muss man nicht annehmen, das weiß man,
davon gibt es tausende.
Sie werden überall eingesetzt.
Und in manchen Ländern dieser Erde
weiß man gar nicht so genau,
welche Feinde der Christen
für welche christlichen Werte
und mit welchen christlichen Waffen
ermordet werden sollen.
„Wer das Schwert nimmt,
der wird durch das Schwert umkommen“
(Matthäus 26,52).
Wer Vergeltung will für die Taten
verirrter, gewalttätiger Mitmenschen
(die nur durch Geburt Muslime und Christen sind),
ist nur durch Geburt Muslim oder Christ.
Christliche und muslimische Mitbürger,
Gewalttäter und Politiker
sind ihrem Gewissen und ihrer Gesellschaft
gegenüber verantwortlich
und sollten ihre von Gott geschenkte Religiosität
nicht beschmutzen und ersticken.
Religiosität ist die Rückführung
in die Mitte des Herzens.
Dort ist Frieden, Liebe und Vergebung.
Das gilt von Geburt an,
für Christen, Muslime und alle anderen.
Wer Vergeltung will,
tut das gleiche wie die Attentäter
und sitzt schon jetzt gemeinsam mit ihnen
in derselben Hölle.
Wer in der Mitte seines Herzens
Frieden, Liebe und Vergebung gefunden hat weiß,
dass er zusammen mit dem Attentäter
auf dem Schoß Gottes sitzt.
Und wer das nicht glauben kann oder will,
wird es dennoch erfahren,
weil die Vergebung Gottes glücklicherweise
unabhängig ist von unserer Zustimmung.
Es liegt an uns selbst,
ob wir Frieden, Liebe und Vergebung erfahren,
herauslassen und zum Leben bringen
oder sie mit Krieg, Angst und Vergeltung ersticken.
Vor ein paar Monaten
war in einem kleinen, französischen Dorf
die Synagoge abgebrannt.
Da sagte der Imam zum Rabbi:
Dann kommt doch zu uns zum Beten.
Und so haben sie es gemacht.
Verbundenheit
Verbundenheit
Ist es Dir auch schon aufgefallen?
Dies ist ein neuer Tag.
Ein ganz neuer Tag.
Ich frage mich gerade,
was das Thema dieses Tages ist.
Und sein Sinn.
November. Ein Herbsttag.
Wolkenloser Himmel,
strahlende Sonne,
20 Grad im Schatten.
Ich höre es summen.
Meine kleine Freundin, die Hummel,
die sich im Frühling immer so rührend
um meinen Apfelbaum kümmert,
setzt sich zu mir auf den Schreibtisch,
in die Sonne und putzt sich.
Ich frage mich,
ob sie wohl ein wenig verwirrt ist,
meine kleine Freundin,
angesichts dieses warmen Herbsttages.
War sie nicht schon längst
in ihrem Winterquartier,
bei ihrer Familie und ihren Kolleginnen,
um sich gegenseitig
ihre wärmenden Pelzchen zu ordnen?
Fragt sie sich vielleicht,
wohin und zu wem sie jetzt fliegen
und was sie tun und sagen soll,
angesichts dieses unerwartet warmen, neuen Tages?
Im Frühling
sprachen wir noch miteinander
und wir waren uns einig,
dass unsere Verbundenheit miteinander
und die mit unseren jeweiligen Familien,
Freunden und Kollegen,
uns froh sein lässt,
uns wärmt
und unserem Leben Sinn gibt.
Wir haben ein wenig philosophiert
und haben unsere Dankbarkeit
zu drei Begriffen verdichtet,
die unser Wohlbefinden ausmachen:
Zugehörigkeit, Sicherheit und Verbundenheit.
Und nun?
Für diesen Augenblick
haben wir beide, die Hummel und ich,
Zugehörigkeit, Sicherheit und Verbundenheit
bei Familien, Freunden und Kollegen
losgelassen,
um sie in unserer Zweisamkeit zu erleben.
„Ich muss gleich wieder los“,
sagt die Hummel,
„dann wird es in aller Verbundenheit
auch Angst geben und Traurigkeit.
Aber wenn wir unsere Angst
und unsere Traurigkeit lieb gewinnen,
werden wir in uns selbst
die Verbundenheit finden,
die wir dann zu denen tragen können,
denen wir verpflichtet sind,
in der Liebe und in der Arbeit.
Das wird so sein,
als würden wir nach Hause kommen.
Die Verbundenheit
IST unser Zuhause.“
Da hat sich so ein warmes Gefühl
breit gemacht,
bei meiner Freundin, der Hummel
und bei mir:
es ist die Verbundenheit in unseren Herzen,
die mit Fremden
und die mit Freunden
und die mit den Geliebten
und vor allem die mit uns selbst,
die diesem neuen Tag seinen Sinn gibt.
Und bevor sie los geflogen ist,
meine geliebte Hummel,
hat sie noch einmal
das Pelzchen in die Sonne gehalten,
hat mit den Vorderfüßen das Gesichtchen geputzt
mir mit dem einen Auge zugezwinkert
und gesagt:
„Ich tanke gerade warme Verbundenheit.
Bitte frag mich jetzt bloß nicht
nach dem Sinn des Lebens!“
Augenhöhe
Augenhöhe
Unser ganzes Leben
wird in Beziehungen erlebt und erfahren.
Jede Begegnung ist ein Geschenk,
die schönen und die weniger schönen.
Jede Begegnung ist Nahrung,
für die Stärkung unseres wahren Selbst.
Wir werden am Du zum Ich (Martin Buber).
Wenn unsere Herzen geöffnet sind,
erleben wir das Leben wie einen Tanz,
zwischen Nähe und Distanz.
Mit geöffneten Herzen
nähren sich bei jeder Begegnung
Akzeptanz, Empathie, Authentizität und Humor.
Aus der unbedingten Wertschätzung
wächst die Liebe mit der Gewissheit,
dass es gut so ist, wie es jetzt gerade ist.
Aus dem Einfühlungsvermögen
wachsen Heilung, Vergebung und Mitgefühl
für sich selbst und den anderen.
Aus der Echtheit
wächst eine Kommunikation, bei der die Wahrheit
auch in der liebevollen Stille des Schweigens erlebt wird.
Aus dem Humor
wächst die Einsicht,
dass bei jedem Ego-Herz-Schmerz
ein klein wenig verbrannt wird von dem
Rechthaben und dem Besserwissen,
mit denen die Mitte des Herzens verklebt ist.
Jede Beziehung hat drei Anteile:
Das ICH, das DU und das WIR.
Das gilt für Beziehungen mit
Eltern, Kindern, Verwandten, Freunden, Kollegen,
Liebesgefährten und potentiellen Liebesgefährten,
die an der Tür klopfend um Einlass bitten,
um ein Geschenk zu bringen.
Das ICH,
das alle seine alten Verletzungen
sich selbst und dem anderen vergibt,
ist im selben Augenblick
in der Mitte seines Herzens
und strahlt den anderen an.
Das DU,
das alle seine alten Verletzungen
sich selbst und dem anderen vergibt,
ist im selben Augenblick
in der Mitte seines Herzens
und strahlt den anderen an.
In demselben Augenblick
ist aus ICH und DU ein WIR geworden.
Da geschehen
Akzeptanz, Empathie, Authentizität und Humor.
Wir Väter, Mütter, Kinder, Freunde und Partner
brauchen einander nicht, um komplett zu werden.
Wir sind ohne den anderen vollkommen.
Wir haben das selbstzerstörerische
Werten, Urteilen, Rechthaben, Besserwissen,
Schuldzuweisen, Angsthaben und Fordern
durchschaut.
Wir machen den anderen nicht verantwortlich
für unser Glück und unseren Frieden.
Wir finden Glück und Frieden
in der Mitte unserer Herzen,
von wo die Liebe strahlen und sich ausdehnen will,
hin zum anderen.
Die Liebe will keine Bedingungen,
sie muss frei sein, um sich ausdehnen zu können.
Und wir wissen gemeinsam,
dass wir manchmal Angst haben vor der Liebe,
als hätten wir sie nicht verdient.
Dabei „müssen“ wir sie nur hereinlassen,
wenn sie anklopft.
Dann füllt sie das ganze Haus.
Eltern, Kinder, Freunde, Kollegen und Geliebte,
wir sind nicht besser oder schlechter, mehr oder weniger.
DU und ICH
WIR sind auf Augenhöhe.
Wenn wir sie einmal herein gelassen haben, die Liebe,
müssen wir nichts mehr tun oder lassen.
Wenn wir einander mit offenen Herzen berühren
und uns auf Augenhöhe in die Augen schauen,
kann das Wunder geschehen,
dass unsere Tränen der Angst
sich im Fließen
zu Tränen glückseliger Liebe verwandeln.