Archiv | Februar 2013

Zärtlichkeit

Zärtlichkeit

Manchmal frage ich mich, welche Werte mir eigentlich wichtig sind.

Freiheit, Glück, Güte, Fürsorge Freude?

Dann habe ich manchmal das Gefühl, diese Werte seien austauschbar,

bedingen einander, schwingen miteinander.

Freiheit macht glücklich.

Glück macht gütig.

Güte macht fürsorglich.

Fürsorglich macht froh.

 

Oder umgekehrt?

Willkürlich austauschbar?

 

Was aber ist mir wirklich, wirklich wichtig?

Und da merke ich:

Keines dieser schönen Gefühle berührt mich wirklich

in ganzer existentieller Tiefe.

Wie kommt das?

 

Ich erkenne:

Diese Werte, die mir so schöne Gefühle machen,

sind ja nur ein Teil der Wahrheit meines Lebens.

 

In mir gibt es außerdem:

Angst, Schuld, Scham, Wut, Urteil, Trennung, Konsum, Sucht, Kummer.

 

Alle diese Werte, die ich in mir trage, sind mir derart wichtig,

dass ich viel Kraft und Energie aufwende,

um sie loszuwerden, zu leugnen, zu verdrängen

oder auszuagieren.

 

Das Ausagieren erscheint oft am naheliegendsten:

Immer wenn ich mich zurückgewiesen fühle,

unverstanden fühle, ungerecht behandelt fühle, angegriffen fühle,

entsteht in mir – fast automatisch – eine Reaktion:

zurück schießen, recht haben, verurteilen, rächen.

 

Irgendwie kollidiert das mit all den schönen Werten in mir.

 

Ich bin glücklich und traurig,

mitfühlend und gefühllos,

gütig und wütend,

herrlich und erbärmlich.

 

Und es scheint nur diesen einen Weg zu geben:

Ich nehme mich mit allem was in mir ist an,

so, wie ich bin.

 

Ganz praktisch könnte das so aussehen:

Immer dann, wenn ich mich zurückgewiesen oder angegriffen fühle,

halte ich kurz inne, fühle das Gefühl und atme tief ein.

 

Ich fühle das Gefühl, nehme es wahr, gebe den Widerstand auf,

lasse es da sein und heiße es willkommen,

ohne es auszuagieren.

 

Willkommen heißen?

Soll ich mir die unschönen Gefühle etwa wünschen?

Nein, das brauche ich nicht.

Sie kommen ganz von alleine.

Aber ich bekämpfe sie nicht mehr.

Ich halte inne.

Beginne damit, mich mit ihnen zu versöhnen.

 

Und da geschieht das Wunder:

Beim Innehalten und Anschauen

werden die unschönen Gefühle kleiner.

Verwandeln sich.

Und werden zum Segen.

 

Wenn ich auf dem Weg bin,

mich mit allem was in mir ist zu versöhnen,

bin ich auf dem Weg,

mein bester Freund zu werden.

Das ist die Voraussetzung dafür, anderen ein Freund zu werden.

 

Ein klein wenig Achtsamkeit – hin und wieder – genügt bereits.

Mal bin ich herrlich und mal erbärmlich.

So bin ich halt.

Immer herrlich ist vollkommen daneben.

Und ein bisschen erleuchtet genügt vollkommen.

 

Mir ist grad ein bisschen wärmer um mein offenes Herz,

mit allen Werten und Gefühlen,

mit meinem Kummer und meiner Freude,

mit meiner Angst und meinem Vertrauen,

meiner Lieblosigkeit und meiner Güte.

 

Wohl dem, der jetzt in meine Nähe kommt

Und auch so sein darf, wie er/sie ist.

 

Meine kleinen Neurosen

sind jetzt lauter kleine, neue Rosen.

Die verschenk ich jetzt

zusammen mit meinem Kummer und meiner Freude

und meiner Zärtlichkeit

an mich und an Dich.

  

Erwachen

Erwachen

Manche Menschen sehnen sich

nach Erlösung, Erleuchtung, Erwachen.

Erwachen – was ist das?

Fern von religiöser Dogmatik ist es dies:

Wenn ich morgens erwache, geschieht Erwachen.

Und in diesem Augenblick des Erwachens

ist Erlösung und Erleuchtung.

 

Ich bin nicht der gute oder der böse Mensch,

der Gutes oder Böses getan hat oder tun wird.

Wenn ich erwache,

bin ich der Unschuldige, Erlöste und Erleuchtete.

Das ist Erwachen.

 

1. Der Skandal dieser Nachricht:

Es gilt für alle !

Im Augenblick des Erwachens sind alle Menschen gleich.

ALLE „guten“ oder „bösen“ Menschen an die ich jetzt denke

und die nach meiner Überzeugung Gutes oder Böses

getan haben oder tun werden,

sind im Augenblick des Erwachens

Unschuldige, Erlöste und Erleuchtete.

Ein Skandal.

 

2. Die frohe Botschaft dieser guten Nachricht:

Ich kann den Augenblick des Erwachens gestalten !

Ich kann Verantwortung wahrnehmen für die Ernte am Abend,

indem ich Verantwortung übernehmen für das,

was ich am Morgen säe.

 

„Aber was ist denn nur mit all dem Leid und dem Bösen“

fragte der Enkel seinen Großvater.

„Ja“, sagte der Großvater,

„da gibt es einen bösen Wolf und einen guten Wolf

in unserem Herzen, die miteinander ringen“.

„Und wer wird diesen Kampf in unserem Herzen gewinnen?“

fragte der Enkel.

„Der Wolf, den Du fütterst, Neshumele,

Du geliebte kleine Seele“, sagte der Großvater.

 

Und dies ist der Augenblick des Erwachens (nicht nur am Morgen):

Es ist dieser Augenblick zwischen Vergangenem und Kommendem.

Der Augenblick ganzer Bewusstheit,

in dem ich mein Herz geöffnet habe,

über mich selbst hinaus.

Ein Augenblick natürlicher, in mir wohnender Herzenswärme,

mit einem natürlichen Wissen von dem,

was zu tun und zu lassen ist.

 

Wenn wir in diesem Zustand des Erwachens

für einen Augenblick innehalten

und Erlösung und Erleuchtung

mit Leib, Seele und Geist wahrnehmen,

geschieht Erwachen im Erwachen.

 

Und dann wissen wir, was zu tun und zu lassen ist.

Dann säen wir das Gute,

ohne an die Ernte zu denken.

Das Säen des Guten IST das Erwachen.

Und im Säen verbinden sich die Erwachten.

 

Wenn Du Deinen guten Wolf

mit der Herzenswärme Deines erlösten Erwachtseins fütterst,

dann ist das das Kraftfutter,

das das Leiden in der Welt heilt.

Zufriedenheit

Zufriedenheit

Manchmal sind wir ganz zufrieden.

Und manchmal nicht.

Wie kommt das nur?

 

Die Tage kommen und gehen.

Morgens aufstehen, abends hinlegen.

Der Kühlschrank ist voll.

Die Heizung funktioniert.

Arbeit gibt es genug.

 

Weihnachten war erträglich.

Bald kommt Eiersuchen.

Der Totensonntag ist noch weit.

 

Dazwischen Karneval.

Endlich mal wieder die Sau raus lassen.

Ganz unverkrampft lustig sein.

 

Dann wieder Alltag:

Kühlschrank, Heizung, Arbeit.

Einigermaßen zufrieden.

 

Und doch:

Irgendetwas fehlt immer zum wirklichen Glück.

 

Vielleicht dies:

Wir könnten für einen Moment aufhören

mit unsrer Zufriedenheit zufrieden zu sein.

Unsere liebgewordenen Automatismen

mit kurzem Innehalten unterbrechen.

Einen Augenblick lang tiefer schauen.

Nach Grund und Sinn fragen

von all dem, was da ist.

All das, was wir so gerne nehmen.

 

Karneval (Carne=Fleisch und Val=Wegnehmen)

ist seit 5000 Jahren die Fastnacht (Zeit vor dem Fasten).

 

Alle Menschen in der Geschichte der Menschheit,

die etwas Wesentliches bewegt haben

und die mehr wollten als Zufriedenheit,

taten das aus der Stille des Fastens und des Verzichts.

 

Die Fastenzeit ist die Zeit

des Empfangens, statt des Nehmens.

Dann haben wir es zugelassen,

dass Weihnachten, Ostern und Karneval

wieder den Grund und den Sinn haben, den sie haben.

 

Und wenn wir dann

für einen Augenblick

dem Sinn von all dem nachspüren

was uns zufrieden sein lässt

und in der Fastenzeit

ein wenig Glücksfasten in unser Leben lassen

indem wir auf Glücklichseinwollen verzichten,

dann geschieht nicht nur

Empfangen statt Nehmen,

es geschieht vor allem das Wunderbare,

dass wir das wahre Glück

in der Zufriedenheit finden.

 

Darf`s ein bisschen mehr sein ?

Darf`s ein bisschen mehr sein ?

fragt die Marktfrau am Obststand

und berührt zielsicher meine und ihre tiefsten Sehnsüchte.

Vordergründig habe ich dann etwas mehr als zwei Pfund Äpfel

und sie hat dann etwas mehr als zwei Euro siebzig.

(Ganz nebenbei: sie hat mit ihrer Frage nicht die Qualität gemeint).

 

Tiefergründig hat sie mein Herz zum schnelleren Klopfen

und all das zum Klingen gebracht, von dem ich gern mehr hätte:

ein bisschen mehr Geld,

ein bisschen mehr Zeit,

ein bisschen mehr Urlaub,

ein bisschen mehr Anerkennung,

ein bisschen mehr Gelassenheit,

ein bisschen mehr Frieden,

ein bisschen mehr Freude,

ein bisschen mehr Liebe,

usw, usw.

Und immer bleibt dieses schale Gefühl der Frustration

von allem Schönen zu wenig zu haben.

 

Wie kommt das nur,

dass mir Quantität so oft wichtiger ist, als Qualität?

Vielleicht, weil ich nicht glauben möchte,

das etwas weniger manchmal tatsächlich etwas mehr ist.

 

Wenn ich aber – nur für diesen Augenblick –

ein bisschen mehr innehalte

und ein bisschen mehr gewahr werde

(beim lesen und beim schreiben)

stelle ich fest:

Ich habe gerade alles, was ich brauche.

Und in dieses GeWahrwerden hinein

wächst ein Mitgefühl.

Ein Mitgefühl für mich, andere, Dinge und Situationen.

 

Und ich muss nichts tun,

um ein bisschen mehr Mitgefühl zu haben.

Die Welle muss auch nicht versuchen durch mehr Achtsamkeit

zu Wasser zu werden. Sie ist es.

 

Die Mutter, die ihr Kind weinen hört,

muss sich auch nicht den Kopf zerbrechen, was zu tun ist.

Sie nimmt das Kind in den Arm,

schenkt ihm ihre Zärtlichkeit und Fürsorge

und lässt ihre Liebe

in den Körper des Kindes hineinströmen.

 

Das will ich von einer Mutter lernen:

Liebevolles Zuhören.

Liebevolles Verstehen.

Liebevolles Tun.

 

Dann dehnt sich auch mein Herz aus,

wird immer weicher und immer größer.

Und schließt auch die Obstfrau, den Marktstand

und den Apfel mit ein.

 

Da spüre ich die samtene Haut des Apfels,

sehe den Samen, der seinen Baum wachsen ließ,

fühle auf der Zunge die Rinde seines Baumes,

verbinde mich mit dem Bauern, der ihn gepflückt hat,

höre zart und sanft die Vitamine knistern,

erlebe, wie der köstliche Saft meinen Lebensdurst löscht,

erfahre die Heilung meiner Sehnsüchte

und bin als Geschöpf mit der Schöpfung verbunden.

 

Und da geschieht das Wunder:

Das Glück des Mitgefühls

für mich, die anderen, die Dinge und die Situationen,

erfüllt mich mit Dankbarkeit

für das, was ich habe und bin.

Und es ist von allem genug:

Geld, Zeit, Urlaub, Freude, Frieden, Liebe.

Und ich bin jetzt ganz für Dich da.

 

Darf`s ein bisschen mehr sein ?

Ja, gern.

Muss aber nicht.